Fahrplan gegen Flickschusterei
466 Erstmeldungen von Lieferengpässen bei kritischen Arzneimitteln gibt es aktuell. Betroffen sind unter anderem Medikamente für Herzpatienten, psychische Erkrankungen und Krebsmedikamente. Diese Engpässe führen nicht nur zu einer enormen psychischen Belastung für Patienten und deren Angehörige, sondern stellen auch eine Herausforderung für das medizinische Personal und die Apotheker dar. Eine Diskussionsveranstaltung der Seniorenunion und des CDU-Gemeindeverbandes Bad Sassendorf bot nun eine Plattform, um die Dringlichkeit der Lage zu erläutern und mögliche Lösungen zu diskutieren. Neben dem Europaabgeordneten Peter Liese nahmen Gabriele Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, sowie der Soester Apotheker, Dr. Horst Heidel, an der Veranstaltung teil, die als Hybridveranstaltung und in der Seniorenresidenz Malerwinkel angeboten wurde.
466 Medikamente fehlen
Die Präsidentin der Apothekerverbände beschrieb die schwierige Situation in den Praxen. „Momentan sind die Meldungen von Lieferengpässen bei Arzneimitteln rund dreimal so viel wie vor drei Jahren, was einen wirklich besorgniserregenden Zustand darstellt. Wir fordern daher entschiedene Maßnahmen: Die Einrichtung einer nationalen Reserve für kritische Arzneimittel, Anreize zur Rückführung der Produktion in europäische Länder, eine EU-weite Lösung für wiederkehrende Engpässe, die Überprüfung und Diversifizierung der Lieferketten sowie die Verpflichtung zur Meldung drohender Lieferengpässe. Uns muss bewusst sein, dass die Rückführung von Produktionsstätten nach Europa zwar höhere Kosten verursacht, aber dieser Mehraufwand ist es wert, da er uns Unabhängigkeit und Therapiesicherheit bringt. Die dafür aufgewendeten Mittel sind eine Investition in unsere Autonomie und in die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger“. Die angestrebten Änderungen des Bundesgesundheitsministers seien Flickschusterei, befand Gabriele Overwiening,
Bürokratie hemmt
Dr. Horst Heidel bekräftigte diese Einschätzung. Die Versorgungsprobleme seien ungelöst, die Lage sei keineswegs besser geworden und strapaziere die Apotheker. „Wir wollen den Patienten helfen, können aber nicht, weil bürokratische Hemmnisse nur mit hohem Aufwand überwunden werden können, weil praktische Ansätze einfach nicht möglich gemacht werden. In unserer täglichen Arbeit stehen wir vor der Herausforderung, ständig improvisieren zu müssen, um die Medikamentenversorgung aufrechtzuerhalten. Ob durch die Eigenherstellung von Medikamentensuspensionen aus Tabletten oder den Bezug von Medikamenten aus dem Ausland – es ist ein kontinuierlicher Kampf gegen die Nichtverfügbarkeit“.
Produktion nach Europa
Peter Liese ist gesundheitspolitischer Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten). „Die Arzneimittelknappheit in Deutschland hat sich seit 2019 dramatisch verschärft, eine Realität, die ich selbst bei meinem Einsatz in der Kinderklinik Paderborn erlebt habe, wo Kinder stationär behandelt werden mussten, nur weil kein Antibiotikasaft verfügbar war. Diese Engpässe belasten Patientinnen und Patienten sowie das medizinische Personal enorm. Ein spezifisches Problem in Deutschland ist die Billigmentalität bei patentfreien Medikamenten, die zu einer Verlagerung der Produktion ins Ausland geführt hat. Wir müssen die Prozesse beschleunigen und die Produktionskapazitäten in Europa, ähnlich wie bei der Corona-Pandemie, effektiver nutzen“.